Innovationsmanagement bei Audi: Start-Up meets Denkwerkstatt

„Wir können viel von Start-Ups lernen. Aber wie gelingt es uns, am besten mit ihnen zusammenzuarbeiten?“ Mit dieser Frage und Zielsetzung wurde die Audi Denkwerkstatt 2016 gegründet. Erste Innovationsstrategien und Geschäftsmodelle sind daraus bereits entstanden.

Audi-Autor Andreas Wittke (l.) im Gespräch mit Matthias Brendel aus der Audi Denkwerkstatt und Start-Up-Experte Daniel Cronin (r.).
Können Start-Ups die Innovationskultur in einem Großkonzern überhaupt verändern?
Daniel Cronin: Das klappt nur, wenn das Silodenken aufgebrochen und das Mindset von jedem Einzelnen im Unternehmen für das große Ziel geschärft wird. Wenn man jahrelang in einem Kerngebiet drin ist, dauert das natürlich länger. Aber das ist genau die spannende Challenge für mich, aber auch für Audi. Die Denkwerkstatt ist so gesehen ein echt spannendes Projekt, das großes Potenzial hat.
Stichwort: Innovationsmanagement in Unternehmen. Matthias, was macht die Audi Denkwerkstatt für dich so besonders?
Matthias Brendel: Das Besondere ist unser Personalrotationskonzept. Neben unserem festen Team kommen 15 Kollegen aus verschiedenen Abteilungen für jeweils ein halbes Jahr zu uns nach Berlin. Sie sind zu 100 Prozent von ihrer täglichen Arbeit freigestellt und fokussieren sich aus unterschiedlichen Perspektiven auf ein Thema. Wie in einem großen Innovationsworkshop. Das erzeugt eine enorme Geschwindigkeit und tolle Ideen.
Daniel: Ein spannender Punkt. In den Start-Ups arbeiten vor allem Generalisten. Beim Großkonzern trifft man eher auf Spezialisten. Die Denkwerkstatt macht das super und bricht mit dem Personalrotationskonzept das Silodenken auf. Das schärft das Bewusstsein für das große Ganze und die Innovation im Unternehmen.
Daniel, du bist seit 2017 Audi Markenbotschafter. Wie kam der Kontakt zustande?
Daniel: Audi hatte mich im Januar 2017 als Moderator für das Audi Osram Start-Up Jam angefragt. Das lief super und ich wurde daraufhin immer wieder für Veranstaltungen angefragt. Wir passen wunderbar zusammen, weil ich seit klein auf großer Motorsportfan und Audi-Liebhaber bin. Wirklich! (lacht)
Welche Innovationsthemen beschäftigen dich bei Audi?
Daniel: Als mehrfacher Unternehmensgründer bin ich das Verbindungsglied zwischen Audi und den kooperierenden Start-Ups. Ich vergleiche es immer mit einem Auto: Wenn man Motor und Getriebe einfach aufeinander loslässt, führt es zu einem Schaden. Man braucht dazwischen eine Kupplung, die das Zusammenspiel regelt. Und das bin ich. (lacht) Dabei beschäftigt mich besonders die Frage, wie dieses Zusammenspiel am besten funktioniert. Wir wollen daher für Start-Ups einen Bereich bei Audi schaffen, an dem sie schnell andocken können. Für erfolgreiches Innovationsmanagement. Und hier kommt die Audi Denkwerkstatt ins Spiel.

“Es darf auch mal etwas nicht auf Anhieb funktionieren.”
Was sind die die größten Unterschiede zwischen Start-Ups und Großkonzernen?
Matthias: Ein großer Unterschied ist der Perfektionsanspruch. Ein Start-Up geht mit dem Ziel heran: Es muss gut genug sein für den ersten Launch. Wir bei Audi haben aber immer den Premium-Anspruch: Es muss von Anfang an perfekt sein. Beide Ansichten sind richtig und wichtig und jeder kann vom anderen lernen, es braucht aber viel Verständnis auf beiden Seiten.
Daniel: Das stimmt. Denn ein Start-Up basiert vor allem auf Hypothesen. „Ich glaube, das könnte funktionieren.“ ist der wichtigste Satz. Dann probiert man seine Idee aus, zeigt das Produkt einem potentiellen Kunden und optimiert es ständig im Austausch mit ihm weiter. So weißt du immer, was dein Kunde genau möchte und kannst enorm schnell reagieren. Ein Großkonzern muss daher Prozesse schaffen, in denen es möglich ist, Entscheidungen zu treffen, die nicht auf perfekten Produkten aufbauen. Ich glaube, das ist ein Grund, warum sich manche Großkonzerne Kooperationen mit Start-Ups anders vorstellen. Es kommt auf das gegenseitige Vertrauen an.
Das heißt, ihr seht Kundenzentrierung und agile Arbeitsmethoden als Allheilmittel?
Matthias: Nein. Man muss genau abwägen, welche Methode wann geeignet ist und warum ich sie einsetzen will. Nur wenn ich diese Fragen sinnvoll beantworten kann, klappt Innovationsmanagement. Denn du hast ganz klassische Abteilungen bei Audi, die nah am Fahrzeugkerngeschäft sind. Für die Mitarbeiter ist es ganz normal und für die jeweilige Aufgabe auch wichtig, dass sie einen Planungshorizont von drei bis fünf Jahren haben und nicht gleich den ersten Prototypen am Kunden testen. In dem Falle wäre eine agile Arbeitsmethode eben nicht geeignet und vielleicht auch ein Sicherheitsrisiko.

In der Audi Denkwerkstatt arbeitet Matthias Brendel (Mitte) mit seinem Team an digitalen Geschäftsmodellen für Audi.
Was kann ein Großkonzern wie Audi von Start-Ups lernen?
Matthias: Ganz viel. Das Eine ist die Schnelligkeit, die daraus entsteht, dass jeder zu 100 Prozent an einem Thema arbeitet. Das Andere ist die maximale Kundenfokussierung. Unsere Teilnehmer gehen vom ersten Tag an in den direkten Dialog mit ihren potenziellen Kunden. So können sie herausfinden, ob ihre Annahmen, die hinter der Entwicklung ihres Produkts oder Services stehen, auch wirklich zutreffen. Nur so kommt am Ende ein Produkt raus, das auch einen Markt findet.
Daniel: Was Großkonzerne von Start-Ups lernen können, ist der Umgang mit Unsicherheit und Fehlern. Wenn man Hypothesen aufstellt, gehört es auch dazu, dass Dinge manchmal nicht auf Anhieb funktionieren. Und man auch mal gegen die Wand fährt. Dennoch muss man sie ausprobieren. Das ist ein bisschen wie Rallyefahren: Wenn man schnell fahren will, muss man auch einen Unfall in Kauf nehmen. Du weißt grob die Richtung, aber ob da jetzt eine Kuh um die nächste Ecke steht, weißt du erst, wenn du angefahren kommst. Und da musst du dann spontan entscheiden.
Innovationskultur in der Praxis: Wie profitieren die einzelnen Abteilungen von der Audi Denkwerkstatt?
Matthias: Die Abteilungen erhalten natürlich Zugang zur Start-Up-Szene. Zudem geben die Rückkehrer einen Einblick in die Methodik und die besondere Sichtweise, die sie in der Denkwerkstatt gelernt und angewendet haben. Jeder Einzelne kommt mit einem ganzen Paket an Vorschlägen und Initiativen zurück in die Abteilung. Wenn das der Vorgesetzte nutzt, kann das die Arbeitskultur und das Innovationsmanagement positiv verändern.
Wie sieht die Zukunft der Audi Denkwerkstatt aus?
Matthias: Seit diesem Jahr bieten wir Kurzzeitprogramme für Führungskräfte an. Wir versuchen, ihnen in einer Woche unsere Arbeitsweise zu zeigen. Sie erleben etwa die Vielfalt der urbanen Mobilitätsangebote, gehen zu Pitch-Events und mit Leuten aus unserem Co-Working Space in der Mittagspause essen. Überwiegend arbeiten sie aber in einem der Teams mit und lernen so direkt, wie wir arbeiten und vor allem wie wir auf den Kunden zugehen. Der Zulauf, den wir dafür bekommen, ist phänomenal. Wir sind für nächstes Jahr komplett ausgebucht. Und das zeigt mir, dass wir etwas Wertvolles für Audi leisten.
Daniel: Ich glaube, das ist sehr wichtig. Denn eine Innovationskultur darf nicht von außen diktiert, sondern muss von innen – vor allem auch von den Führungskräften – vorgelebt werden.


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