Frau Prof. Baumann-Pauly, Sie forschen seit Langem zu Menschenrechten entlang der Lieferkette. Was sind aus Ihrer Sicht die dringendsten Herausforderungen für Unternehmen wie Audi?
Baumann-Pauly: Ein Hauptproblem ist, dass global operierende Unternehmen es mancherorts mit Nationalstaaten zu tun haben, in denen Rechtsstaatlichkeit kaum gewährleistet werden kann. Diese Lücke gilt es zu schließen – vor allem bei den indirekten Zulieferunternehmen, die Rohstoffe vor Ort abbauen. Im Automobilsektor gilt dies vor allem für die Grundstoffe, die zur Batterieherstellung für Elektroautos gebraucht werden, also Nickel, Lithium, Kupfer und Kobalt. Ich habe mich intensiv mit Kobalt beschäftigt, das zurzeit zu mehr als zwei Dritteln aus der Demokratischen Republik Kongo kommt. Dort herrschen sehr schwierige Bedingungen: große Armut, hohe Korruption, regionale Konflikte, zahlreiche Regulierungslücken. Im Kleinbergbau, der rund 30 Prozent der Produktion im Kongo ausmacht, graben Minenarbeitende mit Händen oder sehr einfachen Werkzeugen tiefe Tunnel, um an das Kobalt zu kommen. Diese Tunnel stürzen oft ein. Teilweise helfen auch Kinder beim Abbau mit. Solche gravierenden Probleme kann niemand allein lösen. Wenn also Unternehmen von dort Rohstoffe beziehen, müssen sie sich gemeinsam engagieren und mit zivilgesellschaftlichen Akteur_innen universelle Standards entwickeln. Einen solchen Standard erarbeiten wir zurzeit im Rahmen der Cobalt Action Partnership, die wiederum eine Initiative der von Audi mitgegründeten Global Battery Alliance (GBA) ist. Hier geht es um klare, verbindliche Regeln für den Kobalt-Kleinbergbau im Kongo. Solche Regeln schaffen mehr Sicherheit – auch für Investor_innen und Kund_innen.
Läge nicht eine Lösung darin, problematische Rohstoffe einfach zu ersetzen?
Baumann-Pauly: Mittelfristig lassen sich sicher nicht alle Rohstoffe mit problematischem Abbauhintergrund ersetzen, man verlagert so nur die Probleme. Für die nächsten zehn Jahre, denke ich, sind Lithium-Ionen-Batterien und deren Bestandteile sicherlich der Schlüssel zur Elektromobilität. Wir sollten das so annehmen und auch die Chance sehen, die sich daraus beispielsweise für die sozioökonomische Entwicklung von Ländern wie etwa dem Kongo ergibt. Es gilt vor allem, transparentere Indikatoren für Investor_innen zu schaffen – zum Beispiel sollte bei den Partnerschaften von Unternehmen und Zulieferfirmen die Frage des Vertrauensverhältnisses eine wichtigere Rolle spielen. Bei der Erarbeitung passgenauer Metriken kann die Wissenschaft einen wichtigen Beitrag leisten.
Welchen Weg schlagen Sie vor, um maximale Menschenrechtssorgfalt in der Lieferkette zu erreichen?
Baumann-Pauly: Einen partnerschaftlichen Dialog mit allen Stakeholdern. Wenn die Beziehung zwischen Hersteller und Zulieferfirmen eng ist, gibt es viel mehr Handhabe für einvernehmliche Lösungen. Und ja: Vertrauen spielt eine große Rolle. Hier haben Automobilunternehmen einen großen Vorteil, da sie anders als in anderen Industrien zumeist langjährige Beziehungen zu ihren Lieferant_innen haben. Wenn sie diese gezielt nutzen und an einem Strang ziehen, können sie weit mehr erreichen als durch polarisierte Debatten mit Verbänden und NGOs.
Philippi: Ich denke, alle Stakeholder entwickeln sich hier weiter. Den Hebel, der sich uns als Unternehmen für die Integration von ESG-Kriterien entlang der Lieferkette bietet, haben wir erkannt und werden ihn verstärkt nutzen. ESG ist Teil unserer Unternehmensstrategie und somit Bestandteil all unserer Produkte und Dienstleistungen. Schon heute haben wir zahlreiche Expert_innen im Konzern, die sich ausschließlich um das Thema Nachhaltigkeit in der Lieferkette kümmern. Darauf bauen wir auf. Ziel ist es, ESG als integrales Entscheidungskriterium in allen Köpfen und Prozessen zu verankern.
Herr Philippi, was tut Audi konkret, damit Menschenrechte auch in den Rohstofflieferketten eingehalten werden?
Philippi: Rohstoffe sind für die Automobilindustrie von großer Bedeutung. Wir verbauen salopp formuliert fast das halbe Periodensystem in unseren Fahrzeugen. Deshalb ist die Priorisierung nach Risikohöhe die effizienteste Vorgehensweise. Dafür haben wir über die Initiative „Drive Sustainability“ eine objektive Analyse erstellt, die zeigt, welche Rohstoffe in welchen Verarbeitungsbereichen die höchsten Menschenrechtsrisiken in sich bergen. Auf dieser Basis haben wir im Volkswagen Konzern 16 Rohstoffe priorisiert und eine klare Systematik aufgebaut, wie wir diese im Konzernverbund bearbeiten. Die Maßnahmen unterscheiden sich je nach Rohstoff.