Mehr Ladestationen für Elektroautos: Wie IONITY mehr Reichweite schafft

Herr Mertens, heute schon Ihr Elektroauto geladen?
Anno Mertens: In der Tat, ich fahre aktuell ja einen
Audi e-tron und lade regelmäßig zuhause und bei Audi.
Dann haben Sie im Vergleich zu vielen Kunden keine „Reichweiten-Angst“ – also Sorge um die Reichweite Ihres zukünftigen Elektroautos?
Nein, diese Sorgen sind meiner Meinung nach unbegründet. Parallel zu unserem ersten vollelektrischen Modell, dem Audi e-tron, haben wir nicht nur Ladelösungen für zuhause auf den Weg gebracht, sondern auch Ladelösungen für unterwegs. Denn uns war klar, für unser langstreckentaugliches Modell braucht es ein verlässliches Ladenetzwerk und genügend E-Tankstellen, damit unsere Kunden das Auto als Erstwagen einsetzen können. IONITY ist da ein wichtiger Schritt für Kunden und Hersteller.
Was ist das Besondere an IONITY?
Hinter IONITY steckt mehr als nur das Aufstellen einer Schnellladesäule – denn in diesem Gemeinschaftsunternehmen kooperieren mehrere Wettbewerber, um die
Elektromobilität zum Erfolg zu führen. Bis dato hat ein kurzer Stopp an Autobahn zum Vollladen der Batterie nicht ausgereicht, denn ein Netzwerk mit hoher Ladeleistung existierte nicht. Deshalb mussten wir handeln. Gemeinsam mit BMW, Daimler und Ford hat der Volkswagen Konzern mit Audi und Porsche im November 2017 das Joint Venture IONITY gegründet. Es ist das erste paneuropäische High-Power-Charging-Netzwerk.

Wie will es IONITY schaffen, mehr Ladestationen für Elektroautos zu errichten?
IONITY sucht sich in den europäischen Ländern Partner mit attraktiven Standorten an Hauptverkehrsachsen und Autobahnen – typische Orte, an denen Autofahrer auf langen Strecken einen Stopp einlegen. Dabei arbeiten sie mit Kooperationspartnern wie Tank & Rast, SHELL, OMV, MRH, Circle K. und vielen weiteren zusammen. Die Ziele sind klar gesteckt: Bis Ende 2020 sollen 400 Schnellladesäulen an den besten Standorten errichtet und betrieben werden. Aktuell sind schon mehr als 230 Stationen in Betrieb und die Standortverträge für den Großteil der weiteren Standorte schon unter Dach und Fach.
Das Design der E-Tankstellen verkörpert Innovation und Performance. Überzeugen die Ladestationen auch mit ihrer Technologie?
Das steht außer Frage. Das High-Power-Charging-Netzwerk wird technologisch zukunftssicher aufgebaut. Jede Schnellladestation besitzt im Durchschnitt sechs Ladesäulen. IONITY verwendet den offenen europäischen Ladestandard „Combined Charging System“ (CCS). Der Audi e-tron kann dort mit bis zu 150 kW laden. Wir waren der erste Hersteller, der eine solche Ladeleistung in die Großserie bringt. Damit ist das Auto in knapp 30 Minuten wieder fit für die nächste Langstrecken-Etappe. Und das ist nicht alles: Die Ladestationen für Elektroautos sind so zukunftssicher ausgebaut, dass dort in Zukunft auch Laden mit bis zu 350 kW technisch möglich sein wird.

Ein Gedankenspiel: Auf dem Weg von Berlin nach Wien muss ich an einer Raststätte die Batterie meines Elektroautos an einer IONITY Ladesäule aufladen. Wie gehe ich vor?
Das ist ganz einfach. Beim Autokauf kann der Audi-Kunde die Karte unseres e-tron Charging Service optional dazubuchen. Damit wird der Ladevorgang dann ganz einfach durch Vorhalten der Karte an der Säule gestartet – die Bezahlung erfolgt automatisch über das im myAudi Portal hinterlegte Konto. In Zukunft muss der Kunde dank Plug & Charge nur noch das Ladekabel mit seinem Elektroauto verbinden. Eine Karte braucht es dann nicht mehr, denn das Auto authentifiziert sich automatisch mit der Ladesäule – super komfortabel und unkompliziert.
Und woher bezieht IONITY den Strom für die E-Tankstellen?
Das Gemeinschaftsunternehmen hat sich das Ziel gesteckt, so viel regenerativ erzeugte Energie wie möglich zu verwenden. Um den größten Teil der Schnellladesäulen in Europa mit Ökostrom betreiben zu können, arbeitet IONITY gezielt mit lokalen Energieversorgern zusammen und gestaltet die Verträge entsprechend. Denn sinnvoll und konsequent nachhaltig wird Elektromobilität erst dann, wenn auch der Strom nachhaltig erzeugt worden ist.

IONITY verleiht Elektroautos in Europa Power und Reichweite. Wie unterstützt Audi Elektrofahrer außerhalb Europas?
Die Ladeanforderungen der Kunden variieren von Land zu Land. In den USA und Kanada unterscheiden sie sich kaum von jenen in Europa. Die Kunden dort möchten auch mit ihrem BEV (battery electric vehicle) Langstrecken zurücklegen. Hier bauen „Electrify America“ und „Electrify Canada“ eine performante Schnellladeinfrastruktur auf mit ähnlichen Leistungsdaten wie die Ionity-Stationen. In China hingegen ist die Situation eine andere. Dort möchte kaum ein Kunde von Peking bis nach Shanghai mit dem Auto fahren. Zwar haben wir in chinesischen Metropolen auch weite Entfernungen, die Anforderungen an die Ladeinfrastruktur sind aber andere.

Abseits von IONITY: Welche Ziele hat sich Audi als nächstes in puncto Elektromobilität, Reichweite und Infrastruktur gesteckt?
Der Audi e-tron war 2018 das Startsignal für unsere Elektro-Offensive. Diese setzen wir jetzt systematisch und flächendeckend durch. Diesen Frühling bieten wir mit dem Audi e-tron Sportback unser zweites Elektroauto an. Mit beiden Elektroautos bieten wir Mobilität für die Langstrecke: Denn der Audi e-tron schafft auf Basis des
WLTP-Zyklus bis zu 436 Kilometer, der Sportback sogar 10 Kilometer mehr.
Muss der Kunde laden, ermöglichen wir ihm mit dem e-tron Charging Service einen komfortablen Zugang zu einem Großteil aller öffentlichen Ladestationen in Europa. Ob AC- oder DC-Laden, ob 11 oder 150 kW: Es funktioniert alles mit einer Karte. Aktuell sind 24 EU-Märkte live, die Erweiterung auf Osteuropa folgt im Laufe des Jahres. Geladen werden kann in Europa an einem von
knapp 145.000 Ladepunkten. Und die Netzabdeckung wächst stetig. Hier haben wir also schon viel geschafft und gehen diesen Weg jetzt konsequent weiter.
Was ist Ihre persönliche Sicht auf die Zukunft der Automobilindustrie?
Wir befinden uns in einem Transformationsprozess. Jetzt gilt es, sich über das Fahrzeug hinaus Gedanken zu machen. Daran führt im Zeitalter der Elektromobilität kein Weg vorbei. Das Auto ist zwar weiterhin ein elementarer Baustein im System – es kommen aber weitere hinzu. Ein Beispiel ist die Vernetzung des Fahrzeugs mit dem Haus und den Energienetzen – auch da müssen wir über das Fahrzeug hinausdenken, um für unsere Kunden Mehrwerte zu schaffen.
Herr Mertens, vielen Dank für das elektrisierende Gespräch.